von Christoph Stiegemann
Beitrag für „Alte und neue Kunst“ Bd. 45/2009
Der Diözesankunstverein in Paderborn darf für sich in Anspruch nehmen, der älteste im deutschsprachigen Raum zu sein. Seine frühe Geschichte ist von Wilhelm Tack erforscht1 und in der ersten Jahresgabe „Alte und Neue Kunst im Erzbistum Paderborn“, die 1950 erschien, publiziert worden.2 Nach ihm hat Franz Wüstefeld (†2006), langjähriges Mitglied im Vorstand, die jüngere Geschichte des Vereins nach dessen Wiederbegründung von 1949 bis 1998 fortgeschrieben.3 Auf beiden Arbeiten fußend sei hier aus Anlass des Jubiläums kurz ein summarischer Rückblick auf die Anfänge des Vereins getan und dessen jüngste Geschichte im Zeitraum von 1998 bis 2009 nachgetragen.
Mit der sich formierenden katholischen Bewegung um die Mitte des 19. Jahrhunderts erkannte auch die Katholische Kirche ihre Verantwortung, für den Erhalt der christlichen Kunst Sorge zu tragen. Nach dem Scheitern der 1848er Revolution gelang es der Kirche, einige der damals errungenen Rechte zu bewahren, von denen vor allem das Recht auf Vereins- und Versammlungsfreiheit für die Gründung der Kunstvereine wesentlich wurde. In diesem Zusammenhang ist die Anregung August Reichenspergers (1808–1895), einer der führenden Persönlichkeiten des politischen Katholizismus in Deutschland, zur Gründung christlicher Kunstvereine zu sehen, die am Anfang der Entwicklung steht. Die 1850 in Linz tagende 4. Generalversammlung des „Katholischen Vereins in Deutschland“ hatte Reichensperger beauftragt, einen Satzungsentwurf für einen christlichen Kunstverein zu erarbeiten, der 1851 bereits im Organ für Christliche Kunst abgedruckt wurde.
Noch vor der offiziellen Gründung des Vereins für christliche Kunst in Deutschland auf der 1852 in Münster stattfindenden Generalversammlung hatte man zur Gründung von Kunstvereinen auf Diözesanebene aufgerufen. In Paderborn wurden bereits anläßlich des Diözesankatholikentages in Dortmund am 3. September 1851 Beratungen über die Gründung eines Diözesankunstvereins aufgenommen.
Die Gründung des ersten Diözesan-Kunstvereins in Deutschland erfolgte in Paderborn am 17. März 1852. Bischof Franz Drepper (1845–1855) unterstützte die Initiative des Vereins, an dessen Spitze als erster Direktor der Paderborner Gymnasialprofessor Dr. Wilhelm Engelbert Giefers (1817–1880) stand.
Schon am Ende des ersten Vereinsjahres zählte der Verein 237 Mitglieder, die sich in Lesezirkeln trafen. Auch die Kunst wurde damals bereits gefördert. So ließ der Kunstverein durch den Düsseldorfer Maler Andreas Müller ein Ölgemälde des hl. Liborius malen, das, durch eine Lithographie verbreitet, schließlich in verkleinerter Form das Titelbild im Sursum corda schmückte.
Der Verein erreichte nie wesentlich mehr als 300 Mitglieder. Nach dem Ausscheiden des ersten Direktors Wilhelm Giefers begann der Niedergang, der schließlich gegen 1867/68 in die Auflösung mündete. Der Dombauverein setzte die Arbeit fort, jedoch unter anderem Vorzeichen. Vorrang hatte jetzt die Mittelbeschaffung für die große Restaurierungsmaßnahme des Paderborner Domes im Geiste des Historismus durch den Dombaumeister Arnold Güldenpfennig. Auch der 1912 begründete Diözesanmuseumsverein bildete keinen angemessenen Ersatz, hatte er doch den Schwerpunkt in der Unterstützung des 1913 wiedereröffneten Diözesanmuseums.
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Erst nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches und dem Ende der Nazi-Diktatur war der Zeitpunkt zur Wiederbegründung gekommen. Die Initiative ging von Prälat Prof. Dr. Alois Fuchs, dem Nestor der Paderborner Kunstgeschichte und langjährigen Direktor des Diözesanmuseums aus.4 Er schlug Dr. Wilhelm Tack – damals Pfarrvikar in Hövelriege – als Vorsitzenden vor. Seiner Bitte entsprach Erzbischof Dr. Lorenz Jaeger, der den Verein besonders darauf verpflichtete, der Beförderung des kirchlichen Kunstschaffens der Gegenwart zu dienen. Am 12. Oktober 1949 wurde der Verein in Bochum während der Ausstellung „Kunstschätze westfälischer Dome und Kirchen“ durch Generalvikar Dr. Friedrich M. Rintelen aus der Taufe gehoben.
In der Jahresgabe des Vereins „Alte und Neue Kunst im Erzbistum Paderborn“, deren erste Ausgabe 1950 erschien, sollte nach dem Willen des Erzbischofs nicht nur die reiche alte Kunst zu Wort kommen, sondern vor allem zu brennenden Fragen der zeitgenössischen christlichen Kunst Stellung bezogen werden. Nimmt man die frühen Ausgaben des Periodikums zur Hand, so spiegeln sie die dynamische Aufbruchsphase kirchlicher Bautätigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg.5 Zahlreiche Gotteshäuser waren in den Bomben des Krieges untergegangen, man baute sie wieder auf oder ersetzte sie durch Neubauten. Darüber hinaus wuchs der Bedarf durch die Ansiedlung unzähliger katholischer Vertriebener und Flüchtlinge aus dem Osten, für die neue gottesdienstliche Räume geschaffen werden mussten. Die Beiträge in den Jahresgaben des Kunstvereins dokumentieren die Restaurierungsmaßnahmen und Neubauten dieser Jahre, liefern aber auch interessante Einblicke in das kirchliche Kunstschaffen der Zeit. Wegen des Umfangs der Aufgaben konnte man dem Wunsch nach architektonischer und künstlerischer Qualität nicht immer gerecht werden.
Ein retardierendes Element bildete zusätzlich das lange Festhalten an bestimmten Bautypen, der Basilika mit betontem Westbau und eingezogenem Rechteckchor („Fuchsbauten”) etwa, weil man noch allzu lange von einem neuen verbindlichen Kirchbau-Stil träumte. Das erschwerte häufig die Realisierung neuer architektonisch anspruchsvoller Konzepte, die es in anderen Bistümern in den 50er und zu Beginn der 60er Jahre bereits in größerer Zahl gab. Seit den 60er Jahren wurden auch verstärkt die kirchbaulichen und künstlerischen Aktivitäten im Erzbischöflichen Kommissariat Magdeburg in den Blick genommen.
Nach dem plötzlichen Tod des Vorsitzenden Propst Dr. Wilhelm Tack am 17. Mai 1962 wurde der Verein kommissarisch von Prälat Franz Wüstefeld geleitet. Am 28.Juli 1965 wurde dann Domvikar Prof. Dr. Karl-Josef Schmitz zum neuen Vorsitzenden gewählt, der dem Verein bis zu seinem Tod am 26. September 1994 vorstand. Das anfänglich schlichte Einheitsdesign der Jahresgabe wandelte sich. Die von Karl-Josef Schmitz verantworteten Jahresgaben spiegeln den schöpferischen Schub des Zweiten Vatikanischen Konzils im Erzbistum Paderborn, der den Kirchbau nach 1965 bis weit in die 70er Jahre hinein in besonderer Weise beflügelte. Das sakrale Bauwerk war einerseits “Zeichen und Symbol überirdischer Wirklichkeit”, wie es das 2. Vaticanum in der Konstitution über die heilige Liturgie, Kap. VII., 122 formulierte. Andererseits wurden neue liturgische Belange geltend gemacht, die der um den Erhöhten Herrn versammelten Gemeinde einen größeren Stellenwert einräumten als zuvor. Die neuen Kirchbauten und grundlegenden Erweiterungen im Erzbistum wurden in den Jahresgaben durch den damaligen Diözesanbaumeister Josef Rüenauver vorgestellt. Neben der Architektur wurde aber auch den anderen Kunstgattungen von der Wandmalerei, über Skulptur, Malerei und Goldschmiedekunst bis hin zur Textilkunst und Paramentik breite Aufmerksamkeit geschenkt. Zusätzlich finden sich immer wieder Beiträge grundsätzlicher kunsttheoretischer, theologischer oder kunsthistorischer Art. Erwähnt sei hier der Aufsatz „Deutsche Skulptur des 13. Jahrhunderts. Zur Frage nach den Voraussetzungen in Frankreich“ von Peter Kurmann6 oder „Goldschmiedearbeiten aus dem Schatz der Paderborner Markt- und Universitätskirche im Diözesanmuseum“ von Hermann Maué.7 Bis 1994 kamen auch verstärkt die damaligen Suffraganbistümer Hildesheim und Fulda mit eigenen Beiträgen über Kirchbau, Ausstattung, Restaurierungsprojekte und Museumsaktivitäten zu Wort.
Mit der Errichtung des Erzbistums Hamburg und der Gründung des Bistums Magdeburg im Jahr 1994 wurde auch die Kirchenprovinz des Erzbistums Paderborn neu umschrieben. Das Bistum Hildesheim wurde ausgeschieden. Neu zu Fulda als Suffragan kamen 1995 die Bistümer Erfurt und Magdeburg hinzu. Auch der Kunstverein wurde den neuen Verhältnissen angepasst. Der „Verein für Christliche Kunst in der Kirchenprovinz Paderborn“, wie er nun hieß, erhielt eine neue Satzung, die Erzbischof Dr. Johannes Joachim Degenhardt am 26. August 1996 in Kraft setzte.8 Als neuer Vorsitzender wurde Ordinariatsrat Ulrich Berger aus Magdeburg gewählt, der sich für die Belange der christlichen Kunst in den Neuen Bundesländern besonders engagierte und tatkräftig die Umgestaltung des Vereins in Angriff nahm. Die erste Jahresgabe aus dem Jahr 1998 zeugt vom neuen Profil des Vereins, der neben der Präsentation von Bau- und Restaurierungsprojekten aus allen vier Bistümern nun auch den offenen Dialog mit der Kunst der Gegenwart führte. Dazu schrieb Rat Berger im Vorwort: „ Eine solche Diskussion wird sehr bald zeigen, dass die Grenzen zwischen „christlicher“ und „weltlicher“ Kunst fließend sind. Wenn beide sich aufeinander einlassen, wird Kreativität intensiviert, wird Kunst zur lebendigen Aussage für Mensch und Welt, … Kunst ist weder Selbstzweck, noch erbaulicher Zierrat. Kunst muß anregen, muß Anstoß erregen, darf die kontroverse Auseinandersetzung nicht scheuen. Unser Verein möchte zu einem solchen Dialog ermutigen …“.9 Leider hat Ulrich Berger nur die Anfangsphase des Vereins nach der Neuumschreibung erleben und gestalten können; viel zu früh ist er am 27. April 1999 bereits verstorben. Seine Nachfolge trat Propst Heinz Durstewitz aus Heiligenstadt im Bistum Erfurt an. Noch ganz im aktiven Dienst der Seelsorge stehend mußte Propst Durstewitz allerdings rasch erkennen, dass für die vielfältigen Aufgaben, die der Vorsitz des Vereins zusätzlich brachte, die Kapazitäten nicht ausreichten. Deshalb bat er um Entpflichtung vom Vorsitz des Vereins für christliche Kunst, dem Johannes Joachim Kardinal Degenhardt mit Schreiben vom 8. November 2001 entsprach.
Am 4. März 2002 wurde dann der Geistliche Rat Theodor Steinhoff aus Magdeburg vom Vorstand des Vereins einstimmig zum Vorsitzenden des Vereins gewählt. Mit Rat Steinhoff besitzt der Kunstverein einen engagierten überaus feinsinnigen, geistlich-kreativen Kopf, der die Geschicke des Vereins in den zurückliegenden Jahren umsichtig geleitet und wichtige Ideen und Anregungen eingebracht hat. In der Kreativität erweise der Mensch, so Steinhoff in seiner Antrittsrede im neuen Amt des Vorsitzenden, Gottes Ebenbildlichkeit in besonderer Weise: „Gott inspiriert die Künstler. In diesem Zusammenhang ist mir bewußt geworden, daß die Kirche in ihrem Stundenbuch um solch eine Inspiration betet. Sie würde es sicher nicht tun, wenn sie nicht fest davon überzeugt wäre, daß Gottes Geist auch heute schöpferisch und verschwenderisch wirkt.“ Das fordert auch von der Kunst und vom Umgang mit ihr Mut zur Verschwendung und Ekstase, zum ganzheitlichen Erfassen der Wirklichkeit mit allen Sinnen. „Kunst ist nichts als Verschwendung. Sie verträgt kein Verrechnen. Die Perlen in den Händen der Künstler sind geschenkt.“
Derart beseelt, mit solch großer Freiheit und Offenheit hat Rat Steinhoff den Verein in den zurückliegenden Jahren geleitet und ihn sicher in sein Jubiläumsjahr geführt. Zu Anfang des Jahres 2009 bat Rat Steinhoff um die Entpflichtung von seinem Amt.
Nun übernimmt Geistlicher Rat Theodor Ahrens, gerade verabschiedeter Hauptabteilungsleiter „Schule und Erziehung“ im Erzbischöflichen Generalvikariat, die Leitung des Vereins.
Die im Zweijahres-Rhythmus herausgebrachte Jahresgabe des Vereins bietet neben grundlegenden Beiträgen zum Verhältnis von Kunst und Kirche sowie Bau- und Kunstprojekten aus allen Bistümern der Kirchenprovinz auch freischaffenden Künstlern, die im Raum der Kirche arbeiten, ein Forum, sich mit ihren Werken zu präsentieren. Die Schriftleitung der Jahresgaben mit ihrem vielseitigen, breit angelegten Spektrum an Themen und Beiträgen liegt seit 1998 in den Händen des stellvertretenden Vorsitzenden des Vereins Diözesanbaumeister i.R. Dr.-Ing. Peter Ruhnau, der, unterstützt von einem kleinen Redaktionskollegium, sich dieser Aufgabe mit Hingabe gewidmet hat.
Die Zusammenschau der zurückliegenden Jahre zeigt, welche Herausforderungen der Verein zu meistern hatte. Er ist dabei ein sensibler Seismograph: Wie sich das Verhältnis von Kunst und Kirche wandelt, so wandelt sich der Verein. Dabei ist die Arbeit heute keineswegs einfacher geworden. Dennoch ist der Verein gut aufgestellt, um zuversichtlich nach vorn zu schauen. Als ältester Diözesankunstverein in Deutschland verfügt er über ein Erbe, das trägt.
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Anmerkungen
- Wilhelm Tack, Die Bestrebungen zur Hebung der kirchlichen Kunst im Erzbistum Paderborn seit 1800, in: AuNK Bd. 1, 1950, S. 5–22
- Franz Wüstefeld, Die Entwicklung des Vereins für Christliche Kunst, in: AuNK Bd. 37/38, 1998, S. 6–12
- Zu Alois Fuchs: Christoph Stiegemann, Domkapitular Prälat Dr. Dr. h.c. Alois Fuchs, in: Peter Klasvogt, Christoph Stiegemann, Priesterbilder. Zwischen Tradition und Innovation, Paderborn 2002, S. 186-188; Hubertus Drobner, Alois Fuchs (Lexikonartikel), in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 26 (2006) 327–341.
- Verzeichnis der Ausgaben der Zeitschrift „Alte und neue Kunst im Erzbistum Paderborn“ und ihrer Aufsätze Nr. 1 (1950) – Nr. 40 (2000) unter: www.eab-paderborn.org
- In: AuNK Bd. 26/27,1978/1979, S. 76–101
- In: AuNK Bd. 24/25, 1975/1976, S. 16–50
- In: AuNK Bd. 37/38, 1998, S. 171–173
- In: AuNK Bd. 37/38, 1998, S. 4 f
- In: AuNK Bd. 41, 2002, S. 8–11